Psychische Folgen bei Angehörigen

In der Folge einer intensivmedizinischen Behandlung sind viele Angehörige psychisch belastet und können Anzeichen von Angst, Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung aufweisen. Allgemeine Informationen zur Auftretenshäufigkeit, typischen Symptomen, Behandlungsmöglichkeiten und konkreten Angeboten werden im Folgenden vorgestellt.

Familienangehörige von kritisch kranken Patient*innen erleben sowohl akute als auch langfristige psychische Belastungen als Folge der intensivmedizinischen Behandlung ihrer/s Angehörigen. Die längerfristigen psychischen Folgen für Angehörige sind unter dem Begriff des Post-Intensive Care Syndrom-Family zusammengefasst worden (Davidson et al., 2012). Besonders häufig treten bei Angehörigen Angststörungen, Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) auf (Maley et al., 2018).

Mehr als die Hälfte der Angehörigen von Intensivpatient*innen erleben Ängste. Diese Angst beginnt oft schon während des Intensivaufenthaltes und kann noch Monate bis Jahre danach anhalten (Maley et al., 2018). Zentral ist oft die Angst vor einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Die Angst äußert sich dabei häufig auch mit körperlichen Anzeichen, wie z.B. Herzrasen, Zittern, Schwitzen oder Atemnot. Nehmen die Ängste überhand und beeinträchtigen den Alltag und die Lebensqualität der Betroffenen, wird von einer Angststörung gesprochen. Eine Angststörung kann wirksam mit Psychotherapie oder Medikamenten behandelt werden (Bandelow et al., 2015).

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https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/angststoerungen

Depressive Symptome sind ebenso häufig wie Angst und betreffen etwa jede(n) zweiten Angehörige(n) auf (Maley et al., 2018). Zu typischen Anzeichen zählen unter anderem gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Freudlosigkeit sowie Antriebsschwäche und Müdigkeit. Wenn diese Symptome über einen längeren Zeitraum bestehen, kann dies auf eine Depression hinweisen. Daneben können z.B. verminderte Konzentrationsfähigkeit, ein vermindertes Selbstwertgefühl, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, Schlafstörungen und Appetitlosigkeit auftreten. Auch körperliche Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme, Schmerzen oder Schwindel können Ausdruck einer Depression sein.  Eine Depression lässt sich in der Regel mit Psychotherapie oder Antidepressiva gut behandeln. Beides kann auch miteinander kombiniert werden. Welche Therapie die Richtige ist, hängt vom Schweregrad ab und sollte gemeinsam mit einem Arzt/einer Ärztin oder Psychotherapeut*in entschieden werden (DGPPN et al., 2017).

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https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/depression

Bereits während des Intensivaufenthalts eines geliebten Menschen können Angehörige Symptome einer akuten Belastungsstörung zeigen. Wenn diese Symptome nach der Entlassung aus der Intensivstation fortbestehen, können sie sich zu einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln, die etwa bei jeder/m fünften Angehörigen auftritt (Maley et al., 2018; Petrinec & Daly, 2016). Schlafstörungen, Alpträume, Stimmungstiefs, Reizbarkeit, Gleichgültigkeit oder ausgeprägte Ängste sind dabei häufig. Oftmals stößt die Veränderung in der Persönlichkeit auf Unverständnis im sozialen Umfeld, was wiederum Frustration bei den Betroffenen auslöst. Auch die Partnerschaft kann beeinträchtigt werden. In einigen Fällen treten die Symptome erst im Langzeitverlauf auf – also Monate, teils Jahre später. Da die Symptomatik unbehandelt einen chronischen Verlauf nehmen kann, sollte die PTBS durch eine traumafokussierte Psychotherapie behandelt werden. Falls erforderlich, mit medikamentöser Unterstützung durch Psychopharmaka. Behandelnde Psychotherapeut*innen sollten über eine entsprechende Qualifikation und Erfahrung in Traumatherapie verfügen (Augsburger et al., 2019).

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https://www.migesplus.ch/publikationen/patienteninformation-posttraumatische-belastungsstoerungen

Sowohl Patient*innen als auch Angehörige wünschen sich oftmals Hilfe, um besser mit psychischen Belastungen umgehen zu können. Sie können folgende Personen konsultieren:

Der Hausärzt/Die Hausärztin sollte immer die/der erste Ansprechpartner*in sein. Sie/Er kann abklären, ob organische Ursachen für die Symptome vorliegen, und an weiterbehandelnde Ärzt*innen überweisen.

Ein/e Psychiater*in hat nach dem Studium der Medizin eine Facharztausbildung absolviert, bei der sie/er Kenntnisse über seelische Erkrankungen erworben hat. Psychiater*innen ist es erlaubt, Medikamente zu verschreiben.

Psychologische Psychotherapeut*innen schließen nach dem Studium der Psychologie zusätzlich eine staatlich geprüfte Ausbildung ab. Sie konzentrieren sich auf die psychischen Ursachen der Symptome. Ihre Behandlung beruht auf wissenschaftlich abgesicherten Verfahren; Medikamente setzen sie nicht ein. Die Therapie soll der/dem Patient*in dabei helfen, sich mit den Ursachen ihrer/seiner psychischen Erkrankung auseinanderzusetzen und neue Wege des Umgangs damit zu erlernen.

Psychotherapeuten in Ihrer Gegend finden Sie über die Internetseiten der Psychotherapeutenverbände.

https://www.deutschepsychotherapeutenvereinigung.de/nc/patienten/psychotherapeutensuche/

https://www.psychotherapie.at/patientinnen/psychotherapeutinnen-suche

https://psychotherapie.ch/wsp/de/psychotherapeutin-psychotherapeut-finden/

Wenn der Schritt zur Psychotherapie noch schwerfällt, sind psychosoziale Beratungsstellen alternative Anlaufpunkte. Häufig gibt es lokale Angebote, die in der Regel über deren Website, in der Tageszeitung oder im Telefonbuch (unter „Beratung“) gefunden werden können.

Kurzfristige Hilfe bietet ein Anruf bei der Telefonseelsorge. Die Anrufe sind kostenfrei und rund um die Uhr möglich. Die Beratung findet anonym statt und steht allen Menschen offen, kann aber keine Therapie ersetzen.

Telefonseelsorge

Deutschland: www.telefonseelsorge.de | ( 0800 1110111 oder 0800 1110222)

Österreich: www.telefonseelsorge.at | ( 142)

Schweiz: www.143.ch | ( 143)

Auf den genannten Webseiten wird zudem eine Chat‐ sowie eine Mail‐Beratung angeboten.

Weiterführende Informationen und Links

Zusatzinformationen

Interessenskonflikte: Keine
Autor*innen: Dr. Teresa-Maria Deffner, Psychologin, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Jena, Deutschland
Redaktion: Mag. Dr. Magdalena Hoffmann, MSc, MBA
Datum: 26.06.2021
Version: 1.0
Copyright-Vermerk für Fotos: Mag. Dr. Magdalena Hoffmann
Weiterführende Literatur:
Bandelow, B., Lichte, T., Rudolf, S., Wiltink, J., & Beutel, M. (2015). Therapie. In: B. Bandelow, T. Lichte, S. Rudolf, J. Wiltink, & M. Beutel (Hrsg.) S3-Leitlinie Angststörungen. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 59-88. https://doi.org/10.1007/978-3-662-44136-7_5 Davidson, J. E., Jones, C., & Bienvenu, O. J. (2012). Family response to critical illness: postintensive care syndrome-family. Critical Care Medicine, 40(2), 618–624. https://doi.org/10.1097/CCM.0b013e318236ebf9 DGPPN, BÄK, KBV, AWMF, Härter M., Schorr S., Schneider F. (2017) Therapie. In: DGPPN BÄK, KBV, AWMF, M. Härter, S. Schorr, & F. Schneider (Hrsg.) S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. Interdisziplinäre S3-Praxisleitlinien. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 55-206. https://doi.org/10.1007/978-3-662-52906-5_3 Maley, J. H., Rogan, J., & Mikkelsen, M. E. (2018). Life After the ICU: Post-intensive Care Syndrome in Family Members. In: Netzer G. (eds) Families in the Intensive Care Unit. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-94337-4_10 Petrinec, A. B., & Daly, B. J. (2016). Post-Traumatic Stress Symptoms in Post-ICU Family Members: Review and Methodological Challenges. Western Journal of Nursing Research, 38, 57-78. https://doi.org/10.1177/0193945914544176 Augsburger M. et al. (2019) Behandlung der PTBS bei Erwachsenen. In: Schäfer I. et al. (eds) S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 15-57. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59783-5_2
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